Dienstag, 14. Juni 2011

Finanzministerium Sachsen als Geißel der Blinden?

Zur Zeit ereignet sich vor den blinden Augen der Öffentlichkeit eine traurige und besorgniserregende Entwicklung: eine der ältesten Blindenschriftbibliotheken, die Deutsche Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig  blutet aus.

Für uns als Sehende ist dieser Prozess kaum sichtbar, denn Blinde haben fast keine Lobby. Das uns dies nicht egal sein sollte, wird vielleicht etwas klarer, wenn man sich bewußt macht, was diese Bibliothek leistet.

Die DZB leiht nicht nur Bücher in ⠃⠗⠁⠇⠇⠑ Brailleschrift aus, sondern produziert Braille-Übertragungen in Kurz- und Vollschrift, erstellt Reliefs und Flyer und bietet Dienstleistungen für die barrierefreie Darstellung von Internetinhalten an.

Wer sich die Mühe gemacht hat, die Zentralbücherei zu besuchen, dem wird nicht nur aktuell, sondern auch schon in früheren Jahren aufgefallen sein, mit welchen Produktionsmitteln (nämlich veralteten) und mit welchen Mitarbeitern (nämlich hochengagierten) diese Bibliothek, neben Marburg die größte in Deutschland auskommt.

Obwohl Staatsbetrieb und unter den Fittichen des Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst angesiedelt, muß die DZB mit ihren knapp 80 Mitarbeitern nun schon seit Jahren mit 3,3 Millionen Euro (siehe Staatshaushalt und Bericht des Rechnungshofes) an Haushaltszuschüssen auskommen. Diese Zahl klingt erst einmal viel, wenn man das aber mal auf die Monate und nur auf die Mitarbeiter herunterbricht, so sind das gerade mal 3437 €. Von diesem Geld müssen nicht nur Gehälter und Versicherungsbeiträge gezahlt werden, nein, auch Papierlieferungen, Wartung und Pflege der Technik und der IT, Sprecher bezahlt und Bücher angeschafft werden.

Mit dem durch den Tarifpartner Freistaat Sachsen unterzeichneten Tarifvertrag kamen ab Mai weitere Kosten auf die Deutsche Zentralbücherei zu, auf deren Gestaltung sie keinen Einfluß hatte und laut bekanntgewordenen Brandbrief des Direktors fehlen bis zum Jahresende 2011 nicht nur zehntausende Euro an Mitteln, sondern auch eine fehlende Perspektive:

Ich halte es für ausgesprochen kontraproduktiv, wenn in den Zeiten des demografischen Wandels und der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention, die DZB gezwungen ist, Personalabbaumaßnahmen zu ergreifen. Bei einem Schwerbehindertenanteil von derzeit 23%, wird die Erarbeitung eines Sozialplanes eine Angelegenheit, die weit über den internen Betrieb der Einrichtung hinaus Beachtung finden wird. [..] Weniger Personal bedeutet:
  •     weniger Bücher in Brailleschrift und als DAISY-Hörbuch für die Bibliothek,
  •     Angebote in schlechterer Qualität für unsere Nutzer und
  •     eine massive Schwächung der Einrichtung, bei den gerade in Angriff genommenen  Entwicklungsarbeiten und Kooperationsbemühungen auf vielen Gebieten der  barrierefreien Informationsversorgung.


Fehlende Perspektive? Ja. Die Deutsche Zentralbücherei muß wie jede andere Bibliothek Tradition und Moderne verbinden. Digitalisierung der Bestände, Nutzung der Daisy-Pipeline, Antworten auf Fragen, wie es mit der Brailleschrift weitergeht und welche Rolle die Deutsche Zentralbücherei für Blinde in der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen spielt, auf all diese Fragen gibt es von der Politik im Freistaat Sachsen keine Antwort, nicht einmal, wenn hier in Leipzig die Braille21 stattfindet.


Studios für Blindenhörbücher stehen ev. vor Schliessung, die Zeitschriftenproduktion wird wohl gerade halbiert. Und vielversprechende Projekte, wie Leibniz zur digitalen Aufbereitung und Zugänglichmachung von Fachbüchern könnten auf der Kippe stehen.  Ein größerer sechsstelliger Betrag fehlt wohl jetzt schon im nächsten Jahr. Die Leidtragenden sind die, die auch an der Gesellschaft teilhaben wollen, die Blinden und Sehschwachen.

Aber mit der Alterung der Gesellschaft können auch wir eines Tages auf die Angebote dieser Bibliothek angewiesen sein. Laßt uns aufwachen! Die Piraten sind dabei, wer noch?

Update 2011-06-16:

Ich wurde indirekt gebeten, den Blogpost zu entschärfen. Nach Meinung der DZB würde dieser Artikel den Verhandlungsprozess mit der Staatsregierung Sachsen erschweren. Ich bin darüber etwas verwundert, weil im Artikel meines Erachtens die Stärken und damit auch die Gründe für den Erhalt der Deutschen Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig herausgestellt wurden. An der Stelle sei nochmal darauf hingewiesen, daß Frau Prof. von Schorlemmer des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst die Bedeutung der DZB in den vergangenen Jahren hervorgehoben und sich für den Erhalt dieser Einrichtung eingesetzt hat.

Dennoch bleibe ich dabei, daß das Staatsministerium für Finanzen die nötige Sensibilität hat missen lassen und sich auf die Position des Sparens um des Sparens willen mit Verweis auf das Haushaltsgesetz und auf Kosten der Betroffenen zurückzieht. Ich hoffe, der Deutschen Zentralbücherei  gelingt die schwierige Neuverhandlung der notwendigen Zuschüsse.

Im Beitrag wurden geändert: der Verweis auf den Brandbrief, die Gelder, die der DZB dieses und nächstes Jahr fehlen. Diese Gelder können aus dem oben verlinkten Bericht des Rechnungshofes bei Kenntnis der Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst selbst ermittelt werden.