Samstag, 25. Mai 2013

Retrodigitalisate sollten frei sein

Freudig erregt vermeldete meine Timeline, daß die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel ihre Retrodigitalisate unter die Creative Commons Lizenz 3.0 SA stellte.

Warum ich mich nicht freue

Aus diesem Anlaß sollten wir mal über diese Lizenzen diskutieren und welche Implikationen damit verbunden sind.

Der Artikel von Leonard Dobusch „Wenn Creative Commons zu restriktiv ist: Digitalisate der Bibliotheca Augusta“ kommt zu den richtigen Schlüssen.

Die Verwendung von CC-by-SA 3.0  ist problematisch, weil in dem Lizenztext auf die Schöpfungshöhe und den Urheber abgestellt wird. Nach dt. Urheberrecht kann zB. eine Bibliothek als juristische Person, kein Urheber sein. Die Schöpfungshöhe wäre auch nicht gegeben, weil es sich bei der Digitalisierung nur um einen handwerklichen Akt, nicht um einen schöpferischen handelt.
Kurzum, die Verwendung der CC 3.0 Lizenz suggeriert dem potentiellen Nutzer, dei Bibliothek hätte Rechte, die sie objektiv aber gar nicht hat.

Im oben genannten Artikel schlägt Dobusch die CC0 von Creative Commons vor. Korrekter wäre nach CC-Richtlinien die Verwendung der Public Domain Mark.

Das eigentliche Problem

Wenn man es genau nimmt, ist die Lizensierung von Digitalisaten von Kulturgut gewordenen Schätze eigentlich eine Sauerei. Es werden damit freie Werke, die im Zuge der Digitalisierung endlich wirklich von jedem ohne Hürden genutzt werden könnten, einer uneingeschränkten Nachnutzung entzogen.

Als ich im Frühjahr diesen Jahres bei den Chemnitzer Linuxtagen war, wurde mir die Problematik der lizensierten Retrodigitalisate erst richtig bewußt. Im Vortrag von P. Koppatz kam im Erfahrungsaustausch mit dem Publikum die Verunsicherung zum Tragen. Statt zum Beispiel die Digitalisate der Bayrischen Staatsbibliotheken als Vorlagen nutzen zu können, um ehrenamtliche Projekte, wie „Rückerts Gesammelte Werke“ oder Gutenberg-Project, die eine frei zugängliche, elektronisch verfügbare und korrigierte Übertragung der Werke erreichen wollen, voranzubringen, müssen diese auf Bestände in Kanada (weil dort das Urheberrecht schon abgelaufen ist bzw. fair use-Regelung greift) oder aus dem Antiquariat zurückgreifen, wie ich dies in meinem Projekt „Bunte Bilder aus dem Sachſenlande“ tue.

Die Bayrische Staatsbibliothek hat zum Beispiel den ff. Disclaimer vorgeschaltet: "Ich versichere, die heruntergeladene Datei ausschließlich für private oder wissenschaftliche Zwecke zu verwenden.", den man per Click bestätigen muß.

Was sind private Zwecke? Zählt Veröffentlichen noch unter privat? Was, wenn ich zur Finanzierung meiner Webseite Werbebanner schalte? 

Dafür, daß wir eigentlich zu wenig Kapazitäten haben, Kulturschätze für die Nachwelt verfügbar zu halten, ein Unding. Zumal die meisten Retrodigitalisierungen von der öffentlichen Hand bezahlt werden, also von uns und unseren Steuern.

Meine Bitte


Daher meine Bitte an alle Einrichtungen, die Retrodigitalisierung durchführen, stellt Eure Digitalisate frei zur Verfügung!







Mittwoch, 22. Mai 2013

Der Umgang mit "Geistigem Eigentum" und anderen Begriffen

Der folgende Blogbeitrag stammt im Grunde aus meiner Mail vom April 2008 an die Aktive der Piraten und ist immer noch so aktuell, wie ehedem.

Kulturkonditorei: Eigentum / Property
Foto-Lizenz Kulturkonditorei: CC by NC SA 2.0


Es gibt kein geistiges Eigentum? Naja, über den Begriff kann man
streiten, ich bevorzuge auch "immaterielle Güter", aber deshalb gibt
es diese Güter eben doch. Oder willst du auch Geschäftsgeheimnisse
 

Wir sollten sehr vorsichtig sein, auf Begriffe, wie "Geistiges Eigentum" oder "immaterielle Güter" einzugehen.

Wenn wir diese verwenden, können wir nur mit den damit verbundenen Regeln spielen.
verbieten? Marken und Kennzeichenschutz? Rufschädigung bzw.Rufmissbrauch, Geschmacksmuster usw. 
Das sind unterschiedliche Paar Schuhe. Vielleicht sollten wir hier mal ein paar Gegenstrategien diskutieren.

"Geistiges Eigentum", das Recht an einer "geistigen" Sache. Aber was heißt das?

Wenn mit "Geistiges Eigentum" Geschäftsgeheimnisse gemeint sind, dann sollte man diese auch so nennen.

Wenn mit "Geistiges Eigentum" die Registrierung einer Marke gemeint ist, dann sollte man dies auch so nennen.

Wenn mit "Geistigem Eigentum" die Einräumung eines begrenzten zeitlichen Monopols an einer kulturellen Schöpfung gemeint ist, dann sollte man nach der Schöpfungshöhe fragen. Im Falle der Musikindustrie,
wer ist Urheber und hat das "geistige" Gut wirklich eine Schöpfungshöhe?

Wenn mit "Geistigem Eigentum" Ideen gemeint sind, darf man diese dann so "schützen", daß keiner auf eine gleiche Idee kommen darf?

Wenn mit "Geistigem Eigentum" immaterielle Güter gemeint sind, dann sollte man fragen, inwieweit immaterielle Güter mit materiellen vergleichbar sind? Dürfen dann Rechte und Pflichten aus der
"materiellen" Welt auf die "immaterielle" angewandt werden? Heißt es nicht auch ferner, daß "Eigentum verpflichtet?", wie sieht es denn da bei immateriellen Gütern aus?
Können auf immateriellen Gütern die gleichen Gesetzmäßigkeiten wie bei materiellen angewandt werden? Gilt da noch die Theorie der Verfügungsrechte oder kehrt sich der Effekt aus der materiellen Welt
hier genau um? Geht die Gesellschaft also ressourcenschonender mit im Privatbesitz befindlichen immateriellen Gütern um, als wenn diese in der Allmende wären?

Welche Bereiche zählen wir zur Allmende? Was sind "Dinge", die im Allgemeinbesitz bleiben sollten? Wie sehen unsere Vorstellungen dazu aus? Welche Themen könne wir daher ableiten?

Meine Vorstellung ist, daß Wissen letztlich allen zur Verfügung stehen muß. Und ich leite daraus meine politischen Themen ab. Daher bin ich


Daraus leite ich aber nicht ab, daß
  • Privatwirtschaft zu verdammen wäre,
  • Patente oder Urheberrecht komplett abgeschafft werden müssen, 
  • jeder einen Anspruch auf Unterstützung vom Staat hat.

Samstag, 11. Mai 2013

Ich liebe diese Partei!

Liebe Piraten,

obwohl ich diesmal leider nicht beim Bundesparteitag 2013.1 in Neumarkt dabei sein kann, verfolge ich jedoch alle Debatten vor Ort. Alle GO Schlachten zehren ebenso an mir, als säße ich neben Euch! Und das Auf und Ab der Gefühle beim Zuschauen über Stream oder mitfiebern via Twitter macht mich genauso erschöpft, wie Euch, die ihr vor Ort seid!

Auch wenn ich nicht direkt dabei bin, so sind die Piraten in meiner Familie und in meinem Freundeskreis gerade dieses Wochenende Gegenstand vieler Diskussion und eines muß ich Euch sagen, ihr rockt!

Ich bin so stolz auf Euch, die ihr mit Leidenschaft streitet, die ihr alles in die Waagschale werft, weil ihr von etwas überzeugt seid, weil ihr brennt!

Ich brenne mit, und dieses Feuer ist es, welches mir die letzten Monate gefehlt hat!

Dafür ein dickes Danke! Ein Danke, an jeden einzelnen von Euch! Dieser Bundesparteitag, auch wenn für einige der eine oder andere Punkt nicht so abgestimmt werden wird, wie ihr es für angemessen haltet, dieser Bundesparteitag ist Klasse!

Ihr habt Euch alle weiterentwickelt und alleine, daß die wunderbare Versammlungsleitung den Mut hat, trotz oder gerade wegen hitziger Debatten den Parteitag zu unterbrechen, zeigt, wie weit wir uns entwickelt haben!

Nehmt den Lauer, der zwar immer noch rumzickt, wenn ihm was nicht in den Kram passt, der dennoch um soviel reifer wirkt, als vor ein paar Jahren!

Schaut Euch dieses verrückte Partei an, wo Leute am späten Abend in einen öffentlichen Stream Vogonengedichte und das Trololo-Lied zum Besten geben und dies von unserem wahnsinnigen Protokollanten Drahflow Silbe für Silbe in Echtzeit mitgeschrieben wird! Wo gibt es das sonst?

Liebe Piraten, ihr seid eine Partei, die so bunt und so schräg und so liebenswert ist, daß man gar nicht anders kann, als sich hinzusetzen und diese Zeilen zu schreiben!

Ich bin froh, Teil dieser Partei zu sein und hoffe, daß ihr den morgigen Tag so gut über die Bühne bringt, daß ich auch noch am Montag es nicht bereuen werde diese Zeilen geschrieben zu haben!

Danke! :)

Dienstag, 7. Mai 2013

Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die SMV zu lieben

L’arrivée du projectile à Stone’s-Hill

Vor mehreren hundert Jahren

»Heute erwachte ich nach einem tollkühnen Traum!« begann Dr. Seltsam die illustre Runde zu eröffnen. Die versammelte Gesellschaft wurde still. Alle Blicke waren auf den Doktor gerichtet.
»Erzählen Sie, Dr. Seltsam. Erzählen Sie!« ertönte eine einzelne Stimme. Leuchtend spiegelte sich in den Augen seiner Zuhörer die Erwartung.
»Sie erinnern sich, meine Damen und Herren, sie erinnern sich an jenen Winterabende, als wir uns hier versammelten, weil in der Stadt die Gasleuchten ausfielen. Sie erinnern sich, daß an jenem Abende Yui Yan, jener kleine Chinese unter uns weilte, der mit seinem Circus in der Stadt gewesen ist…«.
»Ja, ja!« ertönte eine helle Stimme am anderen Ende des Tisches, dessen Brandy gefüllten Gläser im Fackeln des Kaminflammen  warm leuchteten. »der hatte dieses Tischspektakel dabei, was uns so ausgesprochen viel Freude bereitet hatte!«. »Genau, genau« jubelte ein anderer.

»Meine Damen und Herren!« fuhr Dr. Seltsam fort, »genau dieses Tischspektakel, Feuerwerk genannt, erschien mir im Traume! Es war so klar, es war, als ob mir Schuppen von den Augen genommen wurden! Meine Damen und Herren,« fuhr er leise fort, »Ich hatte diesen Traum, diese Vision, daß wir den Mond bereisen können, ja die Sterne gar!«

Lautes Murmeln ebbte auf. »Der Mond… und die Sterne?« ertönten die Stimmen der Gäste.
»Ja, die Sterne! Als ich erwachte, habe ich meine Berechnungen gemacht! Glasklar lag die Lösung vor meinem Auge!". Mit diesen Worten wischte Dr. Seltsam die gefüllten Gläser beiseite und entrollte schwungvoll das Papier. »Sehen Sie!« Die feine Gesellschaft ward aus ihren Sesseln gesprungen und drängte sich um den Tisch. »Ich hatte mir von dem Chinesen zeigen lassen, wie dieses Spectaculum funktioniert. Hier,  es besteht aus einer festen Röhre, der Boden mit Ton verschlossen. Schauen Sie, links eine Lunte, wie Sie, Herr Major, sie wohl von ihren Kanonen kennen dürften. Diese Lunte zündet Schwarzpulver, welches fest verstopfet worden ist. Obendrauf ein Pappdeckelchen und darin ein Röhrchen, welches projektilgleich herausgeschossen wird. Im Grunde ein ganz simples Ding! Es ist eine Schande, daß wir nicht eher darauf gekommen sind!« fuhr er im Vortrag fort.

»Ihr Vortrag in allen Ehren, Doktor. Aber kommen Sie zum Punkt!« ertönte barsch die Stimme des Preußen am anderen Ende des Tisches.
»Meine Damen, meine Herren! Ich habe alles genau berechnet! Wir bauen dieses Spectaculum in groß nach.Und in einer Kapsel« er deutete mit dem Finger energisch auf die Papphülse der Zeichnung, »reisen wir zum Mond! Statt 10g Schwarzpulver benötigen wir 40 Pferdewagen voll, und die Röhre muß 50m im Durchmesser haben! Meine Damen und Herren, dies wird in die Geschichte eingehen!« Die Stimmung im Salon kochte. »Ein dreifaches Hoch auf den Triumpf der Technik!«, … »Die Welt wird Augen machen!«…

Heute

Die Piratenpartei will die Politik verändern. Stetige Veränderung, so die Stimmen, gehört zur Partei, wie das Wasser zum Fisch. Und wenn wir die Gesellschaft verändern wollen, müssen wir uns verändern. Soweit, so gut, so akzeptiert. Auch von mir.

Zur Zeit geistert ganz massiv die Idee der Ständigen Mitgliederversammlung (SMV) durch die Lande. Und im Taumel der Begeisterung lassen sich viele von uns anstecken. Es fällt nicht leicht, so einer Woge standzuhalten und zu fragen, welche Idee dahinter steckt, welche Vorbereitungen getroffen werden müssen und ob man sich überhaupt sicher ist, daß man in nüchternem Zustand diesen Traum teilen möchte.

Ich habe zu vermeintlich zwingenden Gründen schon im November 2012 etwas im Beitrag »Nur Knöpfchen drücken reicht nicht!« geschrieben. Aber da viele Leute nicht wissen, was sie an der SMV begeistert und ob sie vielleicht den einen oder anderen Aspekt vergessen haben, will ich nicht den Zeigefinger heben, sondern durch eine Liste von Fragen jedem ein Mittel an die Hand geben, ob er oder sie oder es alle Implikationen zumindest in Erwägung gezogen hat. Denn das gehört dazu, daß man sich wenigstens der Mühe unterzogen hat, vor wichtigen Entscheidungen nochmal inne zu halten und nachzudenken.

Update 2013-05-08: 

Da jetzt wild etliche SMV-Anhänger ihre(!) Antworten zu den folgenden Fragen herumposten. Das ist zwar lieb und im Sinne der Überzeugungsarbeit auch völlig okay. Dennoch ist diese Entscheidung über pro/contra SMV so tief greifend und so vielgestaltig, daß es für jeden der noch unentschlossen ist, wichtig ist tatsächlich sich selbst Gedanken zu machen. Einige der SMV Befürworter setzen SMV mit LQFB gleich und bewerten die Frage dann so ohne dies kenntlich zu machen. Andere wollen das Konzept einer SMV haben, aber die konkrete Ausgestaltung im Dialog entwickeln. Es ist meiner Überzeugung nach nicht hilfreich, Leuten fertige Lösungen anzubieten und eine SMV zu hypen oder zu verteufeln. Ich bin selbst hin- und hergerissen. Die Fragen sind die, die mir während der ganzen Diskussion im Kopf herumspuckten.


Ganz im Sinne der Piraten, daß wir die sind mit den Fragen…

Hier die Fragen


  • Was bedeutet für Dich Ständige Mitgliederversammlung (SMV)? Das Du always online sein mußt? Oder regelmäßig online abstimmst? Kannst Du regelmäßig abstimmen? Willst Du regelmäßig Zeit aufwenden? Oder reicht Dir ein-/zweimal im Jahr, dann aber konzentriert?
  • Ist Dir ganz konkret klar, wie die SMV umgesetzt werden soll? Mit Liquid Feedback? Oder was anderes?
  • Willst Du, daß Entscheidungen der SMV verbindlich sind? Sollen diese gleichrangig zu einem Parteitag oder untergeordnet sein? Soll über Satzung abgestimmt werden? Oder nur über Programm? Oder nur über Wahlprogramm oder gar nur Positionspapiere? Was sind Positionspapiere?
  • Welche Kriterien legst Du an Entscheidungsvorlagen für eine SMV an? Was sind formelle Kriterien?
  • Sollen bestimmte Quoren erfüllt werden, zählt für Entscheidung Gesamtzahl der SMV Akkreditierten oder nur die Zahl der Abstimmenden? Oder gar die Gesamtzahl der Mitglieder?
  • Weißt Du, was passiert, wenn Mitglieder ausgetreten sind? Oder neue hinzukommen? Wie schnell beeinflussen diese mit ihrer Meinung die SMV (nicht mehr)? Hast Du Vorstellungen, was passiert, wenn eine Abstimmung in der SMV sehr, sehr knapp ausfällt?
  • Möchtest Du, daß Deine Abstimmungen aber auch Deine Delegationen für jedes Mitglied nachvollziehbar sind?
  • Kannst Du als Mitglied von Dir selbst behaupten, daß Du soweit bist, anderen Mitgliedern eine Entwicklung zuzugestehen? Kannst Du Mitglieder verteidigen, die aufgrund vergangener Entscheidungen oder Delegationen bezüglich SMV angegriffen werden? Wie lange soll die Nachvollziehbarkeit gewährleistet bleiben? Soll eine SMV vergessen können? Wie sieht es aus, wenn Du mal aus Gründen kein Mitglied mehr sein willst, sollen Deine Entscheidungen sichtbar bleiben? Du kennst Sätze in der DDR, wie "Genosse warum gehn sie denn in die Wahlkabine?"
  • Wie soll der Konflikt aufgelöst werden, zum einen die Nachvollziehbarkeit der Abstimmungen zum anderen das Recht auf geheime Abstimmung zu gewährleisten, insbesondere unter dem Aspekt des Minderheitenschutzes? Ist Dir die Auffassung des CCC zum Thema Wahlcomputer bewußt? Teilst Du diese?
  • Brauchen wir eine SMV wirklich als Alleinstellungsmerkmal? Definieren wir uns nicht eher über Programmpunkte, wie Teilhabe, allgemein verfügbares Wissen in der Informationsgesellschaft?
  • Nehmen wir mit der SMV nicht vielleicht auch die gewünschte Trägheit von Parteitagen aus dem System, die ein Überschwingen von Extrema dämpft und zur Konsensbildung beiträgt? Verleitet eine SMV nicht zu kurzfristig angelegten Lösungen statt Synergien aus durchaus lang dauernden Debatten? Müssen wir tatsächlich immer eine Meinung zu allen aktuellen Themen haben? Oder sind wir vielleicht doch keine Volkspartei?
  • Ist eine SMV wirklich geeignet, die Arbeit von Abgeordneten zu beeinflussen? Wollen wir das überhaupt, oder sollte nicht jeder Abgeordnete seinem Gewissen verpflichtet sein? Und was ist mit dem sozialen Druck, den wir auf diesen aufbauen würden, angemessen?
  • Sorgt eine SMV für eine Immunisierung gegen Lobbyismus? Oder wäre es für Lobbyisten nicht gar einfacher, die Superdelegierten, wie bei LQFB ausfindig zu machen und dort den Hebel anzusetzen?
  • Führt eine SMV nicht dazu, daß wir vergessen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen? Brauchen wir vielleicht auch in der Debatte und Entscheidungen um Anträge die menschliche, soziale Komponente, eben weil wir manchmal nur nach Bauchgefühl entscheiden können?
  • Willst Du die SMV, weil Deine Freunde diese wollen?
  • Hast Du Dir überlegt, warum andere Mitglieder die SMV fordern könnten und wo vielleicht die Beweggründe anders als bei Dir aussehen? Wenn ja, welche Gründe könnten das alles sein?
  • Ist Dir klar, warum Du die SMV jetzt sofort auf Bundesebene brauchst? Und warum es keine gute Idee ist, die SMV erstmal in verschiedenen LVs zu testen und die Erfahrungen zu sammeln? Wäre ein Feldversuch mit verschiedenen Implementationen von SMVs auf Landesebene nicht sinnvoller?
  • Hast Du alle Anträge zur SMV gelesen? Auch die Begründungen? Kannst Du die Unterschiede zwischen den Anträgen benennen?
  • Welche Probleme erwartest Du für die Partei, wenn die SMV nicht kommt?
  • Ist die SMV nicht vielleicht ein Ausdruck dessen sich nicht mit Politik beschäftigen zu wollen? 
  • Sollte diese Partei nicht erst einmal LQFB auswerten und dort Probleme beseitigen, bevor sie eine SMV einführt?
  • Was passiert mit SMV, wenn Server wie bei Wiki oder Pad gerade bei interessanten Abstimmungen ausfallen? Was passiert, wenn Du mal kein Netz hast?
  • Würdest Du eine Konkrete Implementierung einer SMV selbst verstehen können? Könntest Du im Vergleich zu einem Bundesparteitag selbst kontrollieren, ob Abstimmungsergebnis stimmt?
Wenn Du fast alle Fragen beantworten konntest, nehme ich Dir ab, daß Du Dir wirklich Gedanken zur SMV gemacht hast. Ich würde Dir das dann nicht ausreden wollen.

Sonntag, 5. Mai 2013

LQFB Delegationsketten – alles eine Vertrauensfrage?

Update 2013-05-06:
Bild stammt von http://sourceforge.net/projects/lqfbanalyser/

Ich glaube, Klaus Peukert hatte mal in einer Begründung zu Liquidfeedback geschrieben, das Delegationsketten und damit Superdelegierte ganz natürlich seien, weil man ja seine Stimme entweder an jemanden weitergibt, oder eben nicht.

Small World Phänomen?


Diese Argumentation kann man durchaus vertreten. Aber es ist keine natürliche Eigenschaft, sondern systemimmanent in Liquid Feedback angelegt, daß jeweils eine volle Stimme über die komplette Delegationskette akkumuliert wird.

Schauen wir uns soziale Netzwerke an, so fällt auf, daß, aufgrund des natürlichen Vernetzungswillens der Nutzer, jeder andere im Mittel über 5-8 Vermittler erreicht werden kann. Diese Beobachtung ist als Small World Hypothese  bekannt und wurde  für verschiedene natürlich gewachsene Netzwerke nachgewiesen.

Als ich letztens über die Erklärungen Klaus' gestolpert bin, hatte er dort verteidigt, daß es gut und notwendig sei, beliebig lange Delegationsketten zuzulassen.

Da LQFB ebenfalls ein natürlich gewachsenes System darstellt, dürfte man bei der Aussage von Peukert ein leichtes Stirnrunzeln bekommen. Nach Small World dürften generell Delegationsketten der Länge 10 völlig ausreichend sein. Wenn man die Beschränkung auf 10 einbauen würde, könnte man Kritiker von LQFB in der Hinsicht besänftigen ohne daß die Hardcore LQFB Befürworter Schmerzen bekämen.

Vertrauen, daß Delegierter in meinem Sinne entscheidet

Ein anderer Aspekt der Aussage Alles oder Nichts ist, daß wir in der Argumentation den Aspekt des Stimmenübertragens in den Vordergrund gestellt haben. Die weitaus wichtigere Frage, insbesondere wenn wir wirklich Liquid Democracy betrachten, ist die, warum wir eine Stimme übertragen?!

Wenn ich eine Person wähle, zum Beispiel in ein Vorstandsamt, dann drücke ich mit meiner Wahl mein Vertrauen aus, daß diese Person die Aufgabe in meinem Sinne am besten meistert.

Akzeptieren wir diese Motivation die Stimme zu delegieren, müssen wir uns auch fragen, ob dies, wie Katja Dathe in ihrem Blogbeitrag suggeriert, eine binäre Vertrauensfrage, eine Friß-oder-Stirb-Übertragung ist? Nein!

Das bayrische Modell der Präferenzwahl hat dies erkannt, wir sprechen unterschiedlichen Personen ein unterschiedlich hohes Vertrauen aus, für uns die richtigen Entscheidungen zu treffen. Liegt dieses Vertrauen über einem bestimmten Schwellwert, delegieren wir unsere Stimme, sonst eben nicht. 

Kommen wir zurück zu Liquid Feedback. Bei diesem System delegieren wir unsere Stimme dann, wenn wir dem Delegierten zutrauen entweder in unserem Sinne weiterzudelegieren oder in unserem Sinne abzustimmen. Auch wenn wir in dem Moment noch nicht wissen, was "in unserem Sinne" heißt. Auch wenn wir einschätzen, daß Person ein Spezialist ist oder jemanden kennen könnte, der ein Spezialist ist.

Da dieses System Delegationsketten zulässt, entwickelt sich mit zunehmender Länge derselben eine Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Stimmübertragung und der dahinterstehenden Vertrauenssicherheit. Wie oben erläutert, vertrauen wir nicht jedem zu 100%, sondern stufen unser Vertrauen ab.

Exemplarisch vergleichen wir mal folgende Hypothese: bei Vertrauen >50% delegieren wir unsere Stimme, bei weniger nicht (Weniger als 50% macht keinen Sinn, da ich ja auch eine Münze werfen könnte). Gehen wir weiter mal davon aus, daß jeder in der Delegationskette ein durchschnittlichen Vertrauenswert von 80% aufbringt und daß es nicht sonstige Motivationen gibt nicht selbst abzustimmen.


  1. Was passiert bei einer Delegationskette der Länge 1? Richtig, Person A vertraut Person B zu 80% und delegiert auf diese.
  2. Anders sieht der Fall schon bei Delegationsketten der Länge 2 aus, Person A delegiert an Person B in der 80%igen Annahme, daß B richtig entscheidet oder richtig weiterdelegiert. Person B delegiert dann mit 80%igem vertrauen an Person C. Stimmt nun die Stimmdelegation mit der Vertrauensfrage von Person A überein? Schauen wir uns das Ergebnis an: 0,8*0,8=0,64. Das heißt Person A kann nur noch zu 64% davon ausgehen, daß Person C richtig entscheidet.
  3. Machen wir nun das Exempel mit Delegationskette von 3: 0,8*0,8*0,8=0,512
  4. Und Delegationskette von 4: 0,8^ 4=0,40. 
In dem Beispiel würde ab einer Delegationskette von 4 eine Diskrepanz zwischen der Vertrauenserwartung der Person A und dem tatsächlichen Handeln der Person D entstehen.

Um das an der Stelle klar zu sagen, es spielt in der Betrachtung keine Rolle, ob Person D am Ende der Kette so abstimmt, wie es Person A gut fände.
Es wird nur eine Aussage darüber getroffen, wie sicher Person A sein kann, daß Person D am Ende richtig abgestimmt hätte!

Zusammenhang zwischen Länge der Delegationskette und Vertrauen

Kurzum, die Länge der Delegationskette l ist durch die durchschnittliche Vertrauenssicherheit v in die Richtigkeit der Entscheidungen begrenzt:

v^l = 0,5

Daraus ergibt sich die durchschnittliche Delegationskettenlänge l von

l = log v / log 0,5

bzw. das durchschnittliche Vertrauen v in die Entscheidung des Delegierten

v = 0,5^(1/l)

Für l=1 ergibt sich, daß Vertrauenssicherheit gleich dem Vertrauen in den Delegierten ist.

Da man jetzt ja entgegnen könnte, alles schön und gut, aber das durchschnittliche Vertrauen ist ja gar nicht abschätzbar und muß ja immer ›0,5 liegen, damit ich ja überhaupt jemand Stimme gebe, wäre es da nicht sauberer, einfach an dem aktuellen, von Liquid Feedback propagierten System der Alles-oder-Nichts Variante der Stimmenübergabe festzuhalten?

Nun, wir wissen ja aus dem aktuellen Liquidsystem, wie groß die durchschnittliche Delegationskette ist. Und über die l-te Wurzel von 0,5 bekommen wir den durchschnittlichen Vertrauenswert, den jeder an den Tag legt. Mit dieser Angabe können wir dann ausrechnen, wie die Delegationsketten zu begrenzen wären, weil sie nicht mehr den Willen des Erstdelegierenden berücksichtigen.

Vertrauenssicherheit als Funktion aus durchschnittlicher
 Delegationskettenlänge bei durchschnittlichen
 Vertrauen von 80% in Entscheidung des
 jeweils nächsten Delegierten


Nach Angaben von @Simulakrum  liegen die Durchschnittslängen zwischen 2 und 4,7. Das durchschnittliche Vertrauen in den nächsten Delegierten liegt demnach zwischen 70% und 86%.

Wenn wir Delegationskettenlängen verwerfen wollen, die eine Vertrauenssicherheit von weniger als 50% aufweisen, muß gelten:

v^l > 0,5

Um auf Small World zurückzukommen, dort schrieb ich, daß Länge 10 der Delegationskette auf jeden Fall ausreichen müßte.  Bei l=7 beträgt das Vertrauen in Entscheidung des nächsten Delegierten 90,6%, bei l=10 sogar 93,3%. Für eine Partei, deren Mitglieder zu den eher kritischen Menschen zählen ein optimistischer Wert.

So, und nun hoffe ich, daß meine Beobachtung nicht purer Nonsense sind… :)

TL;DR

Je weiter meine Stimme delegiert wurde, desto unsicher ist es, ob in meinem Sinne abgestimmt wird.