Sonntag, 4. Dezember 2016

Schaden durch eine kaputte Digitalcharta

Vor wenigen Tagen wurde von einer "Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern, denen die Gestaltung der digitalen Welt am Herzen liegt" eine "Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union" vorgelegt.

Auf den ersten Blick


Auf den ersten Blick ist man als Mensch, der an Netzpolitik interessiert ist, und die letzten Jahre gesellschaftliche Entwicklungen unter dem Aspekt der digitalen Revolution bewertet, geneigt, diesem Entwurf zuzustimmen.

Doch leider krankt die Charta an elitärer Überheblichkeit und sorgt durch ihre betonte Gegenüberstellung des Digitalen gegen die "reale" Welt für die Zementierung von Neuland-Dystopien in den Köpfen überforderter Angst-Politiker.

Zur Charta gibt es schon sehr gute Analysen, ua. von Julia Reda über die Rückschritte in den Fragen des Immaterialgüterrechtes, von Jürgen Geuter (aka @tante) der vor allem Artikel 5 kritisiert, und von Nutella, der die juristischen Fragen beleuchtet.

Aus meiner Sicht ist die Digitalisierung unserer Welt im vollen Gange und unumkehrbar. Unsere Arbeitswelt verändert sich, unsere Art der Kommunikation und unsere Erfahrungs- und Wissenswelt. Viele dieser Veränderungen legen ein hohes Tempo an den Tag, und diese Veränderungen machen etlichen Menschen Angst.

Für mich ist "digitale Welt" und "reale Welt" kein Gegensatz


Aus diesem Grunde kann ich der Präambel der og. Charta im Grunde zustimmen. Dem entgegen stehen zwei Punkte:

Grundrechte und demokratische Prinzipien auch in der digitalen Welt durch die Herrschaft des Rechts zu schützen,
Für mich ist "digitale Welt" und "reale Welt" kein Gegensatz, die Nutzung von Computern (gleich welcher Form) ist Realität. Meine Kommunikation erfolgt gleichberechtigt via Internet oder von Angesicht zu Angesicht. "Digitale Welt" ist ein anderer Ausdruck von "Neuland", so als wäre das etwas vom Alltag, von der Lebenswirklichkeit abtrennbares. Wie eine Insel auf die man reisen kann und für die man neue Regeln definieren müsste.

staatliche Stellen und private Akteure auf eine Geltung der Grundrechte in der digitalen Welt zu verpflichten,
Auch dieser Punkt wirkt, als würde man die Behauptungen ältlicher Sicherheitshysteriker ernstnehmen, die das Internet, oder verkürzt alles Digitale, als "rechtsfreien Raum"  bezeichnen.

Vielleicht sind diese Punkte missverständlich und könnten durch andere Formulierung entschärft werden. Schauen wir auf Artikel 1 "Würde":

(1)  Die Würde des Menschen ist auch im digitalen Zeitalter unantastbar. Sie muss Ziel und Zweck aller technischen Entwicklung sein und begrenzt deren Einsatz.
(2)  Neue Gefährdungen der Menschenwürde ergeben sich im digitalen Zeitalter insbesondere durch Big Data, künstliche Intelligenz, Vorhersage und Steuerung menschlichen Verhaltens, Massenüberwachung, Einsatz von Algorithmen, Robotik und Mensch-Maschine- Verschmelzung sowie Machtkonzentration bei privaten Unternehmen.
(3)  Die Rechte aus dieser Charta gelten gegenüber staatlichen Stellen und Privaten.

Technische Entwicklung ist Folge der Neugier des Menschen


Satz 2 aus Absatz 1 halte ich für Geschwurbel. Es ist doch nicht die technische Entwicklung, die die Würde der Menschen antasten würde, sondern immer Menschen, die die Würde anderer Menschen verletzen. Technische Entwicklung ist Folge der Neugier des Menschen. Und erst mit der Entwicklung von neuer Technik kann sich auch ein moralischer Maßstab entwickeln, der den Einsatz dieser Technik zum Wohle des Menschen regelt.

Absatz 2 gehört meines Erachtens nicht in eine Charta. Eine Charta sollte auf lange Zeit allgemeingültig sein. Daher sind Auflistungen von Beispielen nicht sinnvoll. Davon ab, warum Big Data, künstliche Intelligenz, …, Algorithmen und Robotik per se zu verteufeln sind, erschliesst sich mir nicht.

Über Absatz 3 wurde an anderer Stelle schon viel gesagt. Kurz zusammengefasst, ist es hoch problematisch Abwehrrechte nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber "Privaten" zu definieren. Zumal "Private" nicht genauer eingegrenzt ist.

Meinungsfreiheit als Grundrecht gilt nicht nur in der digitalen Kommunikation, sondern generell


Über den Artikel 5 "Meinungsfreiheit und Öffentlichkeit" wurde schon genug berichtet:

(1) Jeder hat das Recht, in der digitalen Welt seine Meinung frei zu äußern. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Digitale Hetze, Mobbing sowie Aktivitäten, die geeignet sind, den Ruf oder die Unversehrtheit einer Person ernsthaft zu gefährden, sind zu verhindern.
(3) Ein pluraler öffentlicher Diskursraum ist sicherzustellen.
(4) Staatliche Stellen und die Betreiber von Informations- und Kommunikationsdiensten sind verpflichtet, für die Einhaltung von Abs. 1, 2 und 3 zu sorgen.

Der komplette Artikel ist in sich widersprüchlich. Die Begriffe "Digitale Hetze", "Mobbing" sind nicht definiert. In Absatz 1 wird Zensur eine Absage erteilt, in Absatz 4 werden staatliche Stellen und die Privatwirtschaft in die Pflicht genommen, genau dieser Zensur Vorschub zu leisten. Was ein "pluraler öffentlicher Diskursraum" sein soll, bleibt unverständlich. Alles in allem gehört dieser Artikel komplett gestrichen. Meinungsfreiheit als Grundrecht gilt nicht nur in der digitalen Kommunikation, sondern generell.

Wo die Grenzen von Profiling zu ziehen sind


Im Artikel 6 "Profiling":

Profiling durch staatliche Stellen oder Private ist nur auf gesetzlicher Grundlage zulässig.

könnten Sicherheitspolitiker die Aufforderung verstehen, Private in die Pflicht zu nehmen. Wo die Grenzen von Profiling zu ziehen sind, definiert die Charta leider gar nicht. Dabei wäre dies in Zeiten zunehmender Überwachung und proaktiven Profilings (zB. Precrime) notwendig.

Automatisierung ist erst einmal nichts Verdammenswertes


Der Artikel 7 "Algorithmen" ist hanebüchen. Zuerst einmal ein paar Wote zum Algorithmenbegriff. Dieser bezeichnet nichts anderes als eine Vorschrift zur Problemlösung, quasi als generalisiertes Rezept zur Vermeidung von Rechenaufwand für eine bestimmte Gruppe von gleichartig gelagerten Problemen.

(1) Jeder hat das Recht, nicht Objekt von automatisierten Entscheidungen von erheblicher Bedeutung für die Lebensführung zu sein. Sofern automatisierte Verfahren zu Beeinträchtigungen führen, besteht Anspruch auf Offenlegung, Überprüfung und Entscheidung durch einen Menschen. Die Kriterien automatisierter Entscheidungen sind offenzulegen.
(2) Insbesondere bei der Verarbeitung von Massen-Daten sind Anonymisierung und Transparenz sicherzustellen.

Automatisierung ist erst einmal nichts Verdammenswertes. Automatisierung  sorgt für eine Entlastung der stupiden Wiederholung von gleichartigen Tätigkeiten. Nehmen wir als Beispiel die Personenbeförderung. Nach obiger Definition wären fahrerlose Systeme, wie selbstfahrende Autos, Autopiloten in Flugzeugen nicht möglich. Auch die Forderung nach Offenlegung der kriterien automatisierter Entscheidungen ist an der Lebenswirklichkeit vorbei. Neuronale Netze können zB. Autos steuern, *wie* diese aber zu den jeweiligen Entscheidungen kommen ist schlicht nicht rückübersetzbar. Wenn man den Artikel in der Intention in eine Charta übernehmen will, dann sollte man Fragen der Haftung, Etablierung von Sicherungssystemen, Mindestsstandards nach anerkanntem Stand der Technik aufnehmen. Der nachfolgende Artikel 8 zu "Künstliche Intelligenz" ist da schon besser formuliert.

Transparenzgebot ist Abwehrrecht des Bürgers


In Artikel 9 "Transparenz" steht:

(1) Die Informationen staatlicher Stellen müssen öffentlich zugänglich sein.
(2) Das Transparenzgebot gilt auch gegenüber Privaten, sofern diese über Informationen verfügen, die für die Freiheitsverwirklichung Betroffener von entscheidender Bedeutung sind.

Auch hier ist Absatz 2 mit der fehlenden Abgrenzung von "Privaten" hoch problematisch. Das Transparenzgebot staatlicher Stellen als Forderung gegenüber dem Staat ist ebenfalls ein Abwehrrecht des Bürgers. Es sichert, dass der Staat gegenüber seinen Bürgern sein Handeln erklärt Die Ausweitung auf wie auch immer geartete "Private" ist aus dieser Sicht mE. nicht herleitbar.

Höchstmöglicher Schutz ist schlicht nicht in Breite finanzierbar

In Artikel 13 "Datensicherheit" würde ich den schwammigen und überzogenen Begriff von "höchstmöglicher Schutz" durch "Sicherheit nach dem jeweiligen anerkannten Stand der Technik" ersetzen, höchstmöglich ist schlicht nicht in der Breite finanzierbar:

(1) Jeder hat ein Recht auf Sicherheit von informationstechnischen Systemen und der durch sie verarbeiteten Daten. Dabei ist höchstmöglicher Schutz zu gewährleisten.
(2) Identitätsdiebstahl und Identitätsfälschung sind zu bekämpfen.

Wie wird der Zugang finanziert?

  15 "Freier Zugang" ist schwierig:

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf freien, gleichen und anonymen Zugang zu Kommunikationsdiensten, ohne dafür auf grundlegende Rechte verzichten zu müssen. Das Internet ist Bestandteil der Grundversorgung.
(2) Jeder hat das Recht auf eine nicht-personalisierte Nutzung digitaler Angebote.

Den Satz 2 des Absatz 1 würde ich ungesehen unterschreiben. Der Rest ignoriert die Frage der Finanzierung. Heute werden Dienste im Grunde auf zwei Arten finanziert. Entweder muss ich als Nutzer einen gewissen finanziellen Beitrag für die Nutzung bezahlen, oder private Daten, die aus der Nutzung dieser Dienste anfallen werden zur Finanzierung genutzt (personalisierte Werbung, Verkauf von Kundendaten). Wie jemand Dienste nutzen und bezahlen will, sollte jedem freigestellt sein. Allerdings muss er diese Entscheidung bewusst und informiert treffen können.

Gesellschaft muss akzeptieren, dass sich Menschen weiterentwickeln


Artikel 18 "Recht auf Vergessenwerden" ist hanebüchener Blödsinn. Als populistische Forderung schnell hinausposaunt, ignoriert sie die sich daraus ergebenden Konsequenzen:

Jeder Mensch hat das Recht auf digitalen Neuanfang. Dieses Recht findet seine Grenzen in den berechtigten Informationsinteressen der Öffentlichkeit.

Was sind denn die "berechtigten Informationsinteressen der Öffentlichkeit"? Würde darunter eine wissenschaftliche Auswertung zu soziokulturellen Entwicklungen via Twitter darunter fallen? Oder "das Phänomen Pegida im Internet"? Würde der Erhalt von 4chan nicht wichtige Informationen zu einem Teil der  Kultur des 21. Jahrhunderts liefern?
 
Im Übrigen ist es ja nicht das Problem, dass sich Informationen zB. zu Jugendsünden des einen oder anderen im Internet finden, sondern der gesellschaftliche Umgang damit. Sprich: die Gesellschaft muss akzeptieren, dass sich Menschen weiterentwickeln, dass Informationen immer im Kontext betrachtet werden müssen und dass uns erst das kulturelle Gedächtnis zu dem gemacht hat, was wir jetzt sind: Menschen die auf einen riesigen überlieferten Erfahrungsschatz vergangener und bestehender Kulturen aufbauen können. Wer ein Recht auf Vergessen fordert ist sehr schnell bei Zensur, ob gewollt oder nicht.

Von der Erwartung "bezahlte Arbeit für alle" verabschieden!


Artikel 21 "Arbeit" scheint aus der Feder eines Alt-Sozialisten geflossen zu sein:

(1) Arbeit bleibt eine wichtige Grundlage des Lebensunterhalts und der Selbstverwirklichung.
(2) Im digitalen Zeitalter ist effektiver Arbeitsschutz zu gewährleisten.
(3) Der digitale Strukturwandel ist nach sozialen Grundsätzen zu gestalten.

Dieser Artikel, insbesondere der erste Absatz ist so falsch und so bar jeder Erkenntnis zu den Entwicklungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, wie sonst kein anderer Artikel. Durch die Digitalisierung unserer Welt, durch die zunehmende Automatisierung, in der Entwicklung künstlicher Intelligenz, ist es unabwendbar, dass wir uns als Gesellschaft von der Erwartung "bezahlte Arbeit für alle" lösen müssen.Stattdessen müssen wir uns Modelle überlegen, wie wir zum einen den Lebensunterhalt der vielen Menschen sichern und zum anderen für eine Weiterentwicklung der Gesellschaft sorgen können. Eine viel diskutierte Variante wäre die Umstellung auf ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dies könnte, richtig organisiert, das kreative Potential der Menschen zum Wohle aller freisetzen. Als Beispiel könnte man die OpenSource-Bewegung nennen, in der Menschen gemeinsam Software entwickeln, die für alle gleichermaßen verfügbar ist.

Ignoriert den Status Quo


Der Artikel 22 "Immaterialgüter" ist ein Rückschritt und ignoriert den Status quo. Für eine detaillierte Analyse sei auf Julia Redas Beitrag verwiesen.

Quintessenz


Die Charta hat einige gute Ansätze, und der wichtigste Punkt ist, die aktuelle Diskussion. Leider zementiert sie die Trennung zwischen der "realen" Welt auf der einen und "digitaler Welt" auf der anderen. Die nach Angaben der Initiatoren investierte Arbeit von 14 Monate Vorbereitung und Diskussion spiegelt sich im Ergebnis nicht wieder. Es bleibt der Eindruck eines unausgegorenen Experiments. Schade ist zudem, dass die Charta zwar als europäisches Projekt angedacht ist, aber Europa bisher in keinster Weise einbezogen hatte. Damit richtet sie letztlich mehr Schaden an, als man ihr an positiven Punkten wohlmeinend zugute halten könnte.

Montag, 14. November 2016

Warum Schulmathematik den Grünen manchmal gut täte

Vor wenigen Tagen geisterte die Meldung durch den lokalen Blätterwald, dass die Grünen fordern würden, das Haltestellennetz der Leipziger Verkehrsbetriebe wäre zu weitmaschig und wenn man statt im Durchschnitt aller 800m aller 300m eine Haltestelle einrichten würde, würde dies die Attraktivität des ÖPNV enorm steigern.

In das gleiche Horn blas wenig später der den Grünen nahestehende Verein Ökolöwe, die sich gar zu der Behauptung hinreißen liessen, dass die Unkosten die durch den Bau von mehr Haltestellen entstünden durch den Fahrgastgewinn wieder wett gemacht würde.

Beides ist hanebüchener Blödsinn und kann leicht durch einfache Anwendung von Schulmathematik überschlagsmäßig widerlegt werden.

Haltestellenkosten


Zum ersten, wenn im Leipziger Verkehsnetz statt im Durchschnitt aller 800 nun aller 300m Haltestellen angelegt werden, so entspricht das einer Erhöhung der Anzahl auf 800/300 = 8/3 bzw. um 8/3-3/3=5/3. Die Errichtung der Haltestellen kostet mehr als das 1,6fache als wenn ich alle bestehenden Haltestellen abreißen und neu bauen würde. Hinzu kommt eine Fixkosten-Erhöhung auf das über 2,6fache.

In dem oben verlinkten LVZ Artikel wird seitens der LVB mit ca. 1 Million Euro pro Haltestelle gerechnet und die Zahl von 1605 Haltestellen angegeben. Mit der Forderung der Grünen würde man also 5/3 neubauen müssen, macht summasummarum 2675 Millionen Euro.

Wieviel die Stadt bzw. die Leipziger Verkehrsbetriebe im Jahr für Haltestellenpflege ausgeben fällt da ja fast nicht mehr ins Gewicht.

Durchschnittsgeschwindigkeit


Wenn man ein wenig recherchiert, bekommt man heraus, dass die übliche Beschleunigung einer Straßenbahn für Anfahren und Bremsen bei ca. 1,5m/s²liegt. Die Höchstgeschwindkeit einer Straßenbahn beträgt 70km/h oder ca. 20m/s.

Die einfache Gleichung für die Beschleunigung aus dem Stand lautet s=0,5*a*t², wobei s der zurückgelegte Weg, a die Beschleunigung und t die Zeitdauer darstellen.

Gehen wir der Einfachheit halber aus, dass die Straßenbahn innerstädtisch nur 50km/h (13,8m/s) fährt. Mit der angegebenen Beschleunigung braucht die Straßenbahn 3,1s bzw. 7,2m um diese Geschwindigkeit zu erhalten und gleichsam 3,1s bzw. 7,2m um wieder auf 0 abzubremsen.

Für jede Haltestelle bedeutet dies also 14,4m Bremsen oder Beschleunigen, der Rest Fahrt mit 50km/h (ohne Berücksichtung von Ampeln etc.)

Bei 800m Abständen brauchen wir also 6,2s zum Beschleunigen und Bremsen und bei 50km/h können wir die restlichen (800-14,4)m = 785,6m mit 13,8m/s fahren und benötigen 57s.
Macht in der Summe ~63s.

Für 300m Abstände gilt für die restlichen (300-14,4)m = 285,6m die Zeit von 20,7s, in der Summe also ~27s.

Nehmen wir als Strecke 10km an (entspricht nicht ganz der Hälfte der Länge der Linie 11), dann hätten wir im ersten Fall 10000/800= ~12 Abschnitte, die je mit 63s durchfahren werden, gesamt also 756s. Für jede Haltestelle rechnen wir dann mit sportlichen 30s Ein-Ausstiegszeit. Kommen also nochmal 11*30s hinzu, macht gesamt 1086s. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt dann 9,2m/s oder 33km/h.

Im Fall der 300m Abstände hätten wir 10000/300= ~33 Abschnitte, die je mit 57s durchfahren werden, plus 32*30s, gesamt also 2841s. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt dann 3,5m/s oder 13km/h.

Ergo, die Geschwindigkeit hat sich auf das 2,5fache verringert. Oder anders gesagt, der Fahrgast, der jetzt mit einem Stundenticket 33km weit kommt, schafft dann nur noch 13km. Auch eine Möglichkeit der Fahrpreiserhöhung.

Im Übrigen, die Rechnung gilt nur, wenn die Umsteigezeiten bei sportlichen 30s bleiben. Werden sie höher verändert sich das Ergebnis nochmal dramatisch.

Taktung

Da sich die Durchschnittsgeschwindigkeit sich verringert ist es notwendig, die Dichte der eingesetzten Straßenbahnen zu erhöhen. Dies ist einsichtig, da sich die Umlaufzeit einer einzelnen Bahn um das 2,5fache erhöht. Wenn ich aber mehr Straßenbahnen einsetzen muss, benötige ich auch mehr Personal. Ein anderer Weg wäre die Taktung zu verringern. Da aber nciht die Haltestellendichte, sondern möglichst geringe zeitliche Abstände zwischen den Straßenbahnen den größeren Einfluss auf die Attraktivität des ÖPNV hat, wäre dies mit dem erklärten Ziel der Grünen und des Ökolöwen kontraproduktiv.

Setze ich aber 2,5x mehr Straßenbahnen ein, benötige ich mehr Fahrzeuge (die mit zweistelligen Millionenbetrag in den Anschaffungskosten veranschlagt werden) und mehr Personal.

Ob sich das mit der obigen Behauptung des Ökolöwen rechnet, wage ich zu bezweifeln.

Energiekosten


Ein weiterer Aspekt sind die Energiekosten. Wenn ich die Taktung gegenüber dem Ist-Zustand nicht verändern will, so werden sich die Energiekosten mindestens um das 2,5fache erhöhen, weil zeitgleich 2,5fach mehr Fahrzeuge im Netz unterwegs sind.

Aber auch die Energiekosten pro Fahrzeug erhöhen sich, denn es gilt, der Energieaufwand steigt mit der Zahl der Beschleunigungsvorgänge (der Großteil der Bremsenergie wird in Wärme umgewandelt). Da wir nun 8/3 öfter  beschleunigen müssen, steigt die benötigte Energie ebenfalls um diesen Betrag.

Fazit


Es ist genau zu überlegen, ob die Forderung, die Zahl der Haltestellen zu erhöhen, Sinn macht. Inbesondere sollte man im Hinterkopf behalten, dass mehr Haltestellen bedeutet, dass die Umlaufzeit sich deutlich erhöht. Dies lässt sich nur durch verstärkten Einsatz von weiteren Fahrzeugen kompensieren. Auch wenn obige Rechnung stark vereinfacht ist zeigt sie die grundlegenden Probleme auf. Es wäre sinnvoll, wenn Politiker ab und an solche eine Überschlagsrechnung anstellen, um wenigstens ein Bewusstsein für damit einhergehende Probleme zu entwickeln.

PS.: Wenn ich mich irgendwo krass verrechnet haben sollte, sagt mir bitte Bescheid. Ich habe den Blogbeitrag leicht übemüdet geschrieben. Danke :)

Dienstag, 12. Juli 2016

Die Piraten sind schuld…

Piraten als Nährboden für Legida?


Heute hatte ich in einem längeren Gespräch mit einem befreundeten Politiker die Thesen vernommen, die Piraten hätten zwei Dinge bewirkt.

Zum einen hätten sie durch ihre Kommunikationskultur den Nährboden dafür bereitet, dass jeder (besorgte) Bürger seine (haßerfüllten) Ergüsse ins Netz kippen kann. Zum anderen, dass politische Prozesse des Aushandelns hinter verschlossenen Türen zugunsten einer falsch verstandenen Transparenz aufgegeben werden müssen.
 

Politische Prozesse sichtbar gemacht


Wahr ist, dass die Piraten politische Prozesse sichtbar gemacht haben, in dem sie öffentlich über Beteiligte, Ideen und Zwischenstände (zum teil heftig) debattierten. Daraus ist aber nicht den Piraten der Vorwurf zu machen, sondern den anderen Parteien, weil es ihnen nicht gelungen ist, mit der neuen Transparenz und dem neuen Beteiligungswunsch der Bevölkerung umzugehen. Wenn man so will, könnte man den Piraten vorhalten, sie haben das Land aufgerüttelt politischer zu werden, hätten zwar die Geister gerufen, aber nicht gebannt.
 

Politisch unangepaßt


Wahr ist auch, dass die Piraten sich nicht an die bestehende politische Kultur gehalten haben, dass sie in direkter Art und Weise und oft ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten der jeweiligen politischen Gegner gepoltert haben. Das dies nicht jedem gefiel ist klar, doch dadurch wurde Politik wieder spannend, verkrustete Rituale hinterfragt und Forderungen nach Transparenz erst durchsetzbar.


Politisch unerfahren


Genauso wahr ist auch die in aller Öffentlichkeit und mit fairen und öfter noch unfairen, ins persönlich gehenden Mitteln geführte innerparteiliche Auseinandersetzung um die Richtungs- und damit verbundene Machtfrage. Doch ist diese nicht Ursache  der aktuell durch (besorgte) Bürger ins Netz gekübelten Hassergüsse, noch qualitativ mit diesen vergleichbar.

Hier zeigte sich zum einen eher frühzeitig die mit dem Wachstum des Internet einhergehende Veränderung in der Kommunikation, für die wir gesellschaftlich noch keine verbindlich akzeptierten Regeln entwickelt haben. Und zum anderen die politische Unerfahrenheit, ja teilweise auch Ohnmacht, mit Konflikten innerhalb der Partei mit verschiedenen politischen Strömungen und widerstreitenden Interessen umzugehen. Die Ursache lag hier in dem exorbitantem Wachstum nach der gehypten Berlinwahl und der fehlenden wertebasierten ntegration der neuen Mitglieder.

Vermächtnis oder Verpflichtung


Alles in allem, ja, die Piraten haben Veränderungen bewirkt. Transparenz, Politikinteresse und intensive Netznutzung sind deren bisheriges Vermächtnis.

Aus diesem heraus gilt es Visionen und praktische Hilfen zu erschaffen, mit der neuen Freiheit zum Wohle der Gesellschaft  umzugehen. Die Piraten werden da allen Unkenrufen zumtrotz sich weiterhin einbringen. Und das ist angesichts der aktuellen Parteienlandschaft auch ganz gut so.


Dienstag, 12. April 2016

Politische Zeiten

Lang ist es her, seit ich das letzte mal dazu kam, über Politik im Allgemeinen und Stadtpolitik im Besonderen zu bloggen.
Es ist ja nicht so, dass ex nix gäbe wozu man sich äußern könnte, dass diese Tage so uninteressant wären. Im Gegenteil, sei es Böhmermanns Coup, mit Satire die Scheinheiligkeit im Verhältnis Deutschland - Türkei offenzulegen, sei es die Unverfrorenheit der Machtpolitiker von CDU und SPD die Bundeswehr nun auch im Innern und im Interesse des "Supergrundrechts" Terrorabwehr auch gegen eigene Staatsbürger einsetzen zu Wolken oder sei es die Ohnmacht im Umgang mit rechtspopulistischen Stimmen der AFD, die den Druck auf Regierungsparteien in Flüchtlingskrise erhöhen.
Alles in allen leben wir in "interessanten" Zeiten.
Doch, und so wie es aussieht, bin ich da nicht allein, komme ich kaum noch dazu, all diese politischen Ereignisse und Entwicklungen zu verarbeiten.
Nicht falsch verstehen, ich beschäftige mich durchaus damit, mir gelingt es meistens Position und Gegenposition zu erlesen und eigene Meinung zu entwickeln.
Doch was mir kaum noch gelingt, ist den Prozess dieser Meinungsfindung zu dokumentieren (aka darüber schreiben,  bloggen) und mit anderen darüber zu diskutieren.
Dem liegen zwei Punkte zugrunde, der erste: Ich stelle eine zunehmende Polarisierung in der politischen Debatte fest. War es früher möglich, sich differenziert zu äußern, auch mal ein "ich habe mir da noch keine Meinung gebildet" einzuwerfen oder gar eine Gegenposition als Möglichkeit die Validität von Argumenten zu prüfen einzunehmen, wird dies immer mehr von "Du bist nicht für uns, dann bist Du gegen uns" begründeten Diskursverweigerungen verunmöglicht.
Aber auch die tatsächliche Schlagfrequenz mit der politische Themen medial durchgeprügelt werden sorgt dafür, dass zumindest ich, nicht mehr hintergerkomme, diese einzuordnen, zu bewerten. Die Presselandschaft ist da auch keine Hilfe mehr. Statt Faktenanalyse und Gegenüberstellen von Positionen verkommt die politisch journalistische Arbeit zu Meinungsbeiträgen und Hofberichterstattung, und bietet damit weniger Orientierung.
Alles in allem zwingt mich diese Entwicklung mich auf ganz wenige Themengebiete festzulegen, um überhaupt noch "ehrenamtlich" politisch tätig zu sein. Ich bin nicht politik verdrossen, bin weiterhin an Politik interessiert und politisch. Doch die Flut an Mißachtung bisher geltender Regeln durch Politik, wie auch der Verfall des Journalismus ist möglicherweise Ursache des immer weniger "sich mit Politik beschäftigen" Könnens.

Wie geht es Euch damit? Liege ich falsch?