Montag, 14. November 2016

Warum Schulmathematik den Grünen manchmal gut täte

Vor wenigen Tagen geisterte die Meldung durch den lokalen Blätterwald, dass die Grünen fordern würden, das Haltestellennetz der Leipziger Verkehrsbetriebe wäre zu weitmaschig und wenn man statt im Durchschnitt aller 800m aller 300m eine Haltestelle einrichten würde, würde dies die Attraktivität des ÖPNV enorm steigern.

In das gleiche Horn blas wenig später der den Grünen nahestehende Verein Ökolöwe, die sich gar zu der Behauptung hinreißen liessen, dass die Unkosten die durch den Bau von mehr Haltestellen entstünden durch den Fahrgastgewinn wieder wett gemacht würde.

Beides ist hanebüchener Blödsinn und kann leicht durch einfache Anwendung von Schulmathematik überschlagsmäßig widerlegt werden.

Haltestellenkosten


Zum ersten, wenn im Leipziger Verkehsnetz statt im Durchschnitt aller 800 nun aller 300m Haltestellen angelegt werden, so entspricht das einer Erhöhung der Anzahl auf 800/300 = 8/3 bzw. um 8/3-3/3=5/3. Die Errichtung der Haltestellen kostet mehr als das 1,6fache als wenn ich alle bestehenden Haltestellen abreißen und neu bauen würde. Hinzu kommt eine Fixkosten-Erhöhung auf das über 2,6fache.

In dem oben verlinkten LVZ Artikel wird seitens der LVB mit ca. 1 Million Euro pro Haltestelle gerechnet und die Zahl von 1605 Haltestellen angegeben. Mit der Forderung der Grünen würde man also 5/3 neubauen müssen, macht summasummarum 2675 Millionen Euro.

Wieviel die Stadt bzw. die Leipziger Verkehrsbetriebe im Jahr für Haltestellenpflege ausgeben fällt da ja fast nicht mehr ins Gewicht.

Durchschnittsgeschwindigkeit


Wenn man ein wenig recherchiert, bekommt man heraus, dass die übliche Beschleunigung einer Straßenbahn für Anfahren und Bremsen bei ca. 1,5m/s²liegt. Die Höchstgeschwindkeit einer Straßenbahn beträgt 70km/h oder ca. 20m/s.

Die einfache Gleichung für die Beschleunigung aus dem Stand lautet s=0,5*a*t², wobei s der zurückgelegte Weg, a die Beschleunigung und t die Zeitdauer darstellen.

Gehen wir der Einfachheit halber aus, dass die Straßenbahn innerstädtisch nur 50km/h (13,8m/s) fährt. Mit der angegebenen Beschleunigung braucht die Straßenbahn 3,1s bzw. 7,2m um diese Geschwindigkeit zu erhalten und gleichsam 3,1s bzw. 7,2m um wieder auf 0 abzubremsen.

Für jede Haltestelle bedeutet dies also 14,4m Bremsen oder Beschleunigen, der Rest Fahrt mit 50km/h (ohne Berücksichtung von Ampeln etc.)

Bei 800m Abständen brauchen wir also 6,2s zum Beschleunigen und Bremsen und bei 50km/h können wir die restlichen (800-14,4)m = 785,6m mit 13,8m/s fahren und benötigen 57s.
Macht in der Summe ~63s.

Für 300m Abstände gilt für die restlichen (300-14,4)m = 285,6m die Zeit von 20,7s, in der Summe also ~27s.

Nehmen wir als Strecke 10km an (entspricht nicht ganz der Hälfte der Länge der Linie 11), dann hätten wir im ersten Fall 10000/800= ~12 Abschnitte, die je mit 63s durchfahren werden, gesamt also 756s. Für jede Haltestelle rechnen wir dann mit sportlichen 30s Ein-Ausstiegszeit. Kommen also nochmal 11*30s hinzu, macht gesamt 1086s. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt dann 9,2m/s oder 33km/h.

Im Fall der 300m Abstände hätten wir 10000/300= ~33 Abschnitte, die je mit 57s durchfahren werden, plus 32*30s, gesamt also 2841s. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt dann 3,5m/s oder 13km/h.

Ergo, die Geschwindigkeit hat sich auf das 2,5fache verringert. Oder anders gesagt, der Fahrgast, der jetzt mit einem Stundenticket 33km weit kommt, schafft dann nur noch 13km. Auch eine Möglichkeit der Fahrpreiserhöhung.

Im Übrigen, die Rechnung gilt nur, wenn die Umsteigezeiten bei sportlichen 30s bleiben. Werden sie höher verändert sich das Ergebnis nochmal dramatisch.

Taktung

Da sich die Durchschnittsgeschwindigkeit sich verringert ist es notwendig, die Dichte der eingesetzten Straßenbahnen zu erhöhen. Dies ist einsichtig, da sich die Umlaufzeit einer einzelnen Bahn um das 2,5fache erhöht. Wenn ich aber mehr Straßenbahnen einsetzen muss, benötige ich auch mehr Personal. Ein anderer Weg wäre die Taktung zu verringern. Da aber nciht die Haltestellendichte, sondern möglichst geringe zeitliche Abstände zwischen den Straßenbahnen den größeren Einfluss auf die Attraktivität des ÖPNV hat, wäre dies mit dem erklärten Ziel der Grünen und des Ökolöwen kontraproduktiv.

Setze ich aber 2,5x mehr Straßenbahnen ein, benötige ich mehr Fahrzeuge (die mit zweistelligen Millionenbetrag in den Anschaffungskosten veranschlagt werden) und mehr Personal.

Ob sich das mit der obigen Behauptung des Ökolöwen rechnet, wage ich zu bezweifeln.

Energiekosten


Ein weiterer Aspekt sind die Energiekosten. Wenn ich die Taktung gegenüber dem Ist-Zustand nicht verändern will, so werden sich die Energiekosten mindestens um das 2,5fache erhöhen, weil zeitgleich 2,5fach mehr Fahrzeuge im Netz unterwegs sind.

Aber auch die Energiekosten pro Fahrzeug erhöhen sich, denn es gilt, der Energieaufwand steigt mit der Zahl der Beschleunigungsvorgänge (der Großteil der Bremsenergie wird in Wärme umgewandelt). Da wir nun 8/3 öfter  beschleunigen müssen, steigt die benötigte Energie ebenfalls um diesen Betrag.

Fazit


Es ist genau zu überlegen, ob die Forderung, die Zahl der Haltestellen zu erhöhen, Sinn macht. Inbesondere sollte man im Hinterkopf behalten, dass mehr Haltestellen bedeutet, dass die Umlaufzeit sich deutlich erhöht. Dies lässt sich nur durch verstärkten Einsatz von weiteren Fahrzeugen kompensieren. Auch wenn obige Rechnung stark vereinfacht ist zeigt sie die grundlegenden Probleme auf. Es wäre sinnvoll, wenn Politiker ab und an solche eine Überschlagsrechnung anstellen, um wenigstens ein Bewusstsein für damit einhergehende Probleme zu entwickeln.

PS.: Wenn ich mich irgendwo krass verrechnet haben sollte, sagt mir bitte Bescheid. Ich habe den Blogbeitrag leicht übemüdet geschrieben. Danke :)