Dienstag, 30. Mai 2017

Liebe Gesellschaft — Macht's gut und danke für den Fisch

Irgendwas in dieser Gesellschaft hat sich verändert. Es ist nicht dieser Sicherheitsterror einiger Unionspolitiker. Diesen erlebte ich seit dem Beginn der 2000-er und war für mich der Grund, neben dem Wahnwitz des kaputten Urheberrechts, mich ab 2006 parteipolitisch bei den Piraten zu engagieren.

Nein, irgendwas hat sich in den letzten zwei Jahren in der Gesellschaft geändert, das mich schier verzweifeln lässt. Die entscheidende Erkenntnis, dass es Netzpolitik nicht gibt, nie gab und nie geben wird, dass Freiheitsrechte auch im Digitalen keine Rolle spielen und es auf absehbare Zeit keine gesellschaftliche Kraft, geschweige denn Partei schaffen wird, den Grundrechteabbau wirksam zu verhindern, diese Erkenntnis traf mich, als ich von einem Vorfall auf der diesjährigen re:publica erfuhr.

Bei der re:publica konnte unser Bundesinnenminister Thomas de Maiziere nahezu unwidersprochen, seine Überwachungsphantasien vorstellen. Bei der Überreichung eines Negativ-Preises für seinen Sicherheitsterror durch die Piratenpartei kam es zu Buhrufen. Diese galten nicht etwa dem Bundesinnenminister, sondern den Vertretern der Piraten.

Man kann Piraten mögen oder nicht. Man kann die Aktion unangemessen finden, von mir aus. Doch diese Buhrufe kamen von Leuten, die sich selbst digitale natives, Boheme nennen und vermeintlich für eine freie Gesellschaft eintreten. Diese Buhrufe zeigen eine Zersplitterung der Kräfte, die als erste in der Lage gewesen wären die Folgen der Digitalisierung, als auch die Folgen des umsichgreifenden Sicherheitswahns knorrig-verkrusteter Innenpolitiker zu erkennen und Konzepte zur Bewältigung dieser Umbrüche zu entwickeln.

Aber nichts da. Die Piratenpartei ist kaputtgespielt, die digitale Elite flüchtet sich in Traumwelten und probt hier und da ein Strohfeuerchen medialer Empörung.

Man muss sich das vorstellen, ein Innenminister, der mit kruden Thesen einer deutschen Leitkultur am rechten Rand fischt, ein Innenminister, der alle Bürger unter Generalverdacht stellt. Ein Innenminister, der trotz offensichtlichem Versagen im Fall Amri und wider besseren Wissens Videoüberwachung durchdrückt. Man muss bloss mal die Quellen des Wikipedia-Artikel lesen (gekürzte Auswahl aus https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_de_Maizi%C3%A8re):


Und dies in einer Zeit, in der private Dienstleister den Providern schon Angebote zu Überwachungsdienstleistungen unterbreiten.

In einer Zeit also, wo es jede Kraft bräuchte, die diesem Wahnsinn etwas, und sei es symbolisch, entgegensetzt, in dieser Zeit sendet die re:publica, die vermeintlich geistige Elite, das Signal "Freiheit ist uns wurscht".

Es hat keinen Sinn mehr (auf politischer Ebene) weiterzukämpfen. Die SPD kippt so schnell, dass ihre Gründungsväter im Grabe rotieren. Maas versucht sich zudem als Zensurminister. Die Grünen haben nichts mehr von den freiheitlichen Idealen des Bündnis90 und schiessen sich ständig ins Aus mit neuen absurden Verboten. Die FDP hat sich im Kern nicht geändert und und vertritt die gleiche neoliberale Scheisse, wie vor zehn Jahren, nur hübscher verpackt. Tja, und die Piraten sind spätestens mit der NRW-Wahl tot.

Nennt mich Kassandra, aber der Überwachungsstaat ist nicht mehr eine  Dystopie von Romanautoren, nein, er wird gerade errichtet. Keinen interessiert es. Wartet noch zehn Jahre und alle haben sich daran gewöhnt.

Nach '89 hatte ich an eine freie Gesellschaft geglaubt, hatte versucht für deren Erhalt einzutreten und zu kämpfen.
Wir waren in der Minderheit und erfolglos.

Das ist die bittere Erkenntnis.